Cover
Titel
Der Stromzähler. Elektrische Energie als Konsumgut, 1880–1950


Autor(en)
Schädler, Jonas
Reihe
Interferenzen – Studien zur Kulturgeschichte der Technik 29
Erschienen
Zürich 2023: Chronos Verlag
Anzahl Seiten
235 S.
Preis
€ 38,00
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Sophie Gerber, Technisches Museum Wien

„Wieso eine Geschichte des Stromzählers?“, fragt Jonas Schädler gleich zu Beginn seiner Studie dieses gleichermaßen aus dem Blickfeld von Forschung und Konsument:innen geratenen Geräts (S. 9). Schnell zeigt sich bei der Lektüre das Potential des Zählers als Untersuchungsgegenstand an der Schnittstelle von Produktion und Konsum von Elektrizität für deren Historiographie. Mit einem methodisch breiten, technik- und wissenshistorischen Ansatz nimmt Schädler eine Spanne von rund 70 Jahren in den Blick: Beginnend in den 1880er-Jahren, als die technischen wie infrastrukturellen Grundlagen für die Elektrifizierung von öffentlichem Raum, Industrie, Gewerbe und Privathaushalt gelegt wurden, bis hin zur Vollelektrifizierung der Haushalte in den 1950er-Jahren.

Drei Teile gliedern die Untersuchung chronologisch und entlang der Erkenntnisinteressen des Autors. Zunächst steht der Verkauf von Strom vor 1900 im Mittelpunkt (S. 23ff.). Wieso wurden Stromzähler notwendig, welche Arten setzten sich durch und welche Rahmenbedingungen entlang von Normen und Gesetzen wurden für deren Konstruktion und Nutzung geschaffen? Es folgt die Betrachtung der Produktion und Vermarktung von Stromzählern am Beispiel des aufstrebenden und bald global tätigen Schweizer Unternehmens Landis & Gyr während der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts (S. 49ff.). Wie gestalteten sich die Produktion und Vermarktung der Stromzähler? Abschließend steht im Fokus, wie der Stromkonsum im Haushalt selbstverständlich wurde und wie der Stromzähler sich etablierte, angeeignet wurde und schließlich bis in die 1950er-Jahre wieder am Rande des Wahrnehmungshorizonts verschwand (S. 143ff.).

Schädlers Buch knüpft an historische Studien zur Elektrifizierung sowie zur Konsum- und Infrastrukturgeschichte an. Er legt eine dichte (Technik-)Geschichte der fortschreitenden Elektrifizierung, Normalisierung des Stromverbrauchs und Etablierung einer Elektrizitätsinfrastruktur vor – erstmals mit dem Stromzähler im Mittelpunkt. Dafür wurden Primärliteratur, Fachzeitschriften und Archivquellen ausgewertet, allen voran unternehmenshistorische Quellen von Landis & Gyr, einem auf normierte Stromzähler spezialisierten Schweizer Elektro-Unternehmen. Ein Abschnitt widmet sich der Expansion von Landis & Gyr nach Indien und streift damit nicht nur Fragen der Translokation von Technologien, sondern auch des Kolonialismus und der Infrastrukturgeschichte.

Es gelingt Jonas Schädler einerseits, die Sphären von Produktion und Konsum als stets aufeinander bezogen und wechselseitig wirksam zu beleuchten. Eindrücklich zeichnet er nach, wie der Zähler zum Akteur in den Aushandlungsprozessen zwischen Stromproduzent:innen und -konsument:innen um die Elektrifizierung der Haushalte wurde. Seine technische Funktion, Verfasstheit, Ablesbarkeit und Positionierung innerhalb der häuslichen Infrastruktur ließ ihn zu einem zentralen Instrument in Verhandlungen über die Normierung und Kontrolle von Stromverbrauch sowie über das Vertrauen der Konsument:innen in die Elektrizitätsindustrie werden. In der Analyse gelingt Schädler dies unter anderem, indem auch die „Praktiken der Angewöhnung“ – Verstehen, Kontrollieren, Manipulieren, Regulieren – genauer untersucht werden (S. 147ff.). Dabei kommen auch die Brüche und Diskrepanzen zwischen projizierter Anwendung und tatsächlicher Verwendung – Stichwort Manipulation – nicht zu kurz.

Vor 1900 standen zunächst eine Notwendigkeit und viele offene Fragen: Steigender Energieverbrauch, die Entstehung größerer Verbundnetze, der Wunsch nach einer Effizienzsteigerung der Kraftwerke und nicht zuletzt die Kontrolle der Verbraucher:innen erforderten die technische Verbrauchsmessung mittels Zähler. Unklar war, was und in welchen Einheiten überhaupt gemessen werden soll und unter welchen Bedingungen sich Elektrizität verkaufen lässt. Wie sich das Induktionsprinzip und die Verbrauchsmessung in Kilowattstunden schließlich durchsetzen konnte, erläutert Schädler auch in technisch-funktioneller Hinsicht gut nachvollziehbar.

Andererseits ist die Geschichte des Stromzählers auch eine Geschichte des Sichtbarmachens und Verschwindens. War die Unsichtbarkeit von Elektrizität zu Beginn noch Anlass für Faszination und Skepsis gleichermaßen, machte der Stromzähler mittels Skala den Verbrauch sicht- und nachvollziehbar. Der Weg zur Selbstverständlichkeit wurde begleitet von der Unsichtbarmachung von Elektrizitätsinfrastrukturen – Leitungen, die unterirdisch verlegt und Kraftwerke, die entfernt der Anwender:innen errichtet werden. Die Geschichte des Stromzählers reiht sich in dieses Narrativ ein: Mit steigendem Stromverbrauch, stabilen Infrastrukturen und wachsendem Vertrauen in die Versorgung wurde der prüfende Blick der Verbraucher:innen auf das Gerät seltener. Die allmähliche „Entzauberung“ der Elektrizität und Normalisierung ihres Konsums machte den Stromzähler zur black box, die schließlich im Keller ihren Platz fand. Er wurde zum Teil einer Infrastruktur, die durch das Vertrauen der Konsument:innen gesellschaftlich integriert wurde.

Das Buch regt die Leser:innen auch an, den Blick auf vermeintliche Selbstverständlichkeiten wie das Konsumieren von Strom, aber auch dessen Verkauf und Regulierung zu schärfen. Aktuell hat der Stromzähler in Diskussionen um das Smart Metering erneut Aufmerksamkeit erhalten. Seitens der Stromversorger:innen wird erneut mit Transparenz für die Kundschaft argumentiert, während diese sich besonders mit Fragen der Datensicherheit konfrontiert sieht.

Dass eine Geschichte des Stromzählers überfällig war, hat Jonas Schädler mit dieser Untersuchung überzeugend gezeigt. Konzentrierte sich die Forschung bislang auf eine Geschichtsschreibung der Elektrifizierung als strukturelles Phänomen oder den Konsum von Strom, gelingt Schädler darüber hinaus eine objektbezogene Analyse der (Haushalts-)Elektrifizierung, die die Perspektiven der verschiedenen Akteur:innen gekonnt verknüpft. Dass dies auf nur gut 200 Seiten gelingt, ist auch auf den verhältnismäßig sparsamen Raum, den methodisch-theoretische Erläuterungen einnehmen, zurückzuführen. Umso überzeugender liest sich diese pointierte wie facettenreiche Studie, die nicht wenige Anknüpfungspunkte für tiefergehende technik-, sozial- und unternehmenshistorische Untersuchungen zur Elektrizität bietet.

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Die Rezension ist hervorgegangen aus der Kooperation mit infoclio.ch (Redaktionelle Betreuung: Eliane Kurmann und Philippe Rogger). http://www.infoclio.ch/
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